Myasthenia gravis: Muskelschwäche nach Belastung

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Zusammenfassung
Myasthenia gravis ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die durch eine Muskelschwäche gekennzeichnet ist, die meist im Verlauf des Tages oder nach Belastungen ausgeprägter wird. Die Symptome werden durch Autoantikörper ausgelöst, welche die Muskelfunktion stören. Die genauen Ursachen, wie es zur Entstehung der Autoimmunstörung kommt, sind derzeit nicht vollkommen geklärt. Da in vielen Fällen jedoch auch eine krankhafte Veränderung des Thymus nachgewiesen werden konnte, wird ein Zusammenhang zwischen dem Thymus (Thymusdrüse, Organ im Brustkorb) und der Entstehung von Myasthenia gravis vermutet.
Was ist Myasthenia gravis?

Myasthenia gravis, oder Myasthenie, ist eine Autoimmunerkrankung, also eine Störung, bei der das Immunsystem körpereigene Strukturen angreift. Die Erkrankung tritt gehäuft in den Altersbereichen von 30 bis 40 Jahren und im Bereich von 60 bis 80 Jahren auf. Bei einem frühen Beginn (unter 45 Jahren) spricht man von einer Early Onset Myasthenia gravis (EOMG),
beim ersten Auftreten der Symptome im Alter über 45 Jahren hingegen von Late Onset Myasthenia gravis (LOMG). Die Erkrankung lässt sich zudem auch über die Schwere der Symptome (leicht/mittel/schwer) oder anhand der Lokalisation in eine generalisierte und eine auf die Augen begrenzte (okuläre) Myasthenie einteilen.
Die Häufigkeit der Erkrankung schwankt von Region zu Region, liegt jedoch etwa bei 15 bis 179 Fällen pro einer Million Einwohner. Damit gehört sie zu den seltenen Erkrankungen (weniger als fünf von 10.000 Menschen).
Was sind die Symptome einer Myasthenia gravis?
Das Hauptsymptom von Myasthenia gravis ist eine Lähmung bzw. Schwäche der Muskulatur, die bei Belastung und im Verlauf des Tages meist zunimmt. Infekte können die Symptome verschlimmern.
Zu Beginn fallen meist Symptome an den Augen (okuläre Symptome) auf, wobei es insbesondere zu Doppelbildern kommt und ein oder beide Augenlider herabhängen (Ptose). Wenn die Muskulatur rund um Hals und Zunge (bulbäre Muskulatur) betroffen ist, kann sich dies in Schluckbeschwerden (Dysphagie), Kauschwäche oder Schwierigkeiten beim Sprechen (Dysarthrie) äußern. Bei etwa 15 Prozent der Patienten bleiben die Symptome auf die Augen beschränkt.
Eine mögliche schwere Komplikation der Erkrankung ist eine sogenannte Myasthene Krise. Dabei kommt es zu einer plötzlichen Verstärkung der Symptome, die von Schluckstörungen bis hin zu Atemproblemen führen können. Dann handelt es sich um einen Notfall, der intensivmedizinisch behandelt werden muss. Zu den Auslösern einer solchen Krise zählen unter anderem: Infektionen, Fehler bei der Medikamenteneinnahme und Operationen. Es gibt aber auch bestimmte Medikamente, die die Myasthenie verschlechtern können. Diese sind im Abschnitt „Was können Sie selbst bei einer Myasthenia gravis tun? aufgelistet.“
Wie entsteht eine Myasthenia gravis?
Die genauen Ursachen für die Entstehung der Myasthenia gravis sind noch nicht geklärt. Im Rahmen der Erkrankung bildet jedoch das Immunsystem Antikörper gegen körpereigene Strukturen (Autoantikörper). Bei der häufigsten Art der Myasthenia gravis richten sich diese gegen Acetylcholin-Andockstellen, die für die Aktivierung der Muskeln essenziell sind. Sendet eine Nervenzelle ein Signal an einen Muskel, schüttet sie den Botenstoff Acetylcholin (ACh) aus. Dieser Botenstoff bindet dann normalerweise an die bei Myasthenia gravis beeinträchtigten Rezeptoren. Da dieser ACh-Rezeptor nun aber durch die Autoantikörper des Immunsystems bereits blockiert ist, kann das ACh dort nicht andocken. Das Signal der Nervenzellen kann daher nicht oder nur teilweise an den Muskel weitergegeben werden, wodurch der Muskel nicht oder nur schwach reagiert.
Es scheint einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Myasthenia gravis und einer krankhaften Veränderung des Thymus zu bestehen. Beim Thymus, auch Bries genannt, handelt es sich um eine Drüse, die etwa auf Höhe des Brustbeins sitzt. Während der Kindheit und Jugend ist der Thymus aktiv und prägt bestimmte Zellen (T-Lymphozyten) des Immunsystems, die später für die körpereigene Abwehr von Bedeutung sind.
Wie stellt der behandelnde Arzt eine Myasthenia gravis fest?
Zunächst erfragt der Arzt die Krankengeschichte (Anamnese). Es geht also darum, wann die Symptome zuerst aufgetreten sind, um welche Symptome es sich handelt und darum, ob sich der Zustand zu bestimmten Tageszeiten oder nach Anstrengung verschlechtert. Bei einem Verdacht auf Myasthenia gravis, überweist der Arzt zur Diagnose an eine Fachpraxis für Nervenheilkunde (Neurologie).
Häufig finden Belastungstests statt, um herauszufinden, ob die Muskulatur ungewöhnlich schnell oder stark ermüdet. Beim sogenannten Simpson-Test, der sich auf die Augenmuskulatur konzentriert, wird der Blick für längere Zeit nach oben gerichtet, während der Arzt beobachtet, wie gut die Augenlider offen gehalten werden können.
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, bestimmte Medikamente (Cholinesterase-Hemmer) zu verabreichen, welche die Symptome einer Myasthenia gravis verbessern. Kommt es kurz nach der Anwendung zu einer Symptomverbesserung, ist dies typisch für diese Erkrankung – jedoch ist dies kein eindeutiger Hinweis auf diese Erkrankung. Auch ein elektrophysiologischer Test kann bei der Diagnose hilfreich sein. Dabei stimuliert der Arzt mit einem speziellen Gerät die Nerven und findet so heraus, wie gut diese Reize weiterleiten.
Ein Blutbild veranlasst der Arzt in der Regel um andere Erkrankungen und Begleiterkrankungen auszuschließen. Es gibt aber auch spezielle Blutuntersuchungen zur Diagnose der Myasthenia gravis, beispielsweise auf Antikörper gegen den Acetylcholin-Rezeptor.
Da es einen Zusammenhang zwischen krankhaften Veränderungen der Thymusdrüse und der Entstehung von Myasthenia gravis zu geben scheint, beinhaltet die Untersuchung häufig auch eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Brustkorbs oder eine Computertomografie (CT). Da bei einigen Patienten ein Tumor des Thymus (Thymom) vorliegt, lässt sich eine solche Veränderung auf diese Weise nachweisen.
Wie wird die Myasthenia gravis behandelt?
Ziel der Therapie ist eine verbesserte Muskelfunktion und dass die Erkrankung nicht weiter voranschreitet. Damit sich Symptome verbessern werden die sogenannten Acetylcholinesterase-Hemmer (auch ACh-Inhibitoren) sowie Immunsuppressiva am häufigsten eingesetzt. Erstere erhöhen die Menge des Botenstoffs ACh und erlauben so eine verbesserte Muskelfunktion. Immunsuppressiva unterdrücken das körpereigene Immunsystem und verringern so die Zahl der Autoantikörper, die sonst die Reizweiterleitung im Muskel stören.
Menschen zwischen 15 und 50 Jahren mit einer schweren Myasthenia gravis wird zusätzlich zur Medikamentengabe häufig auch der Thymus entfernt (Thymektomie), auch wenn kein Thymom vorliegt. Bei Kindern ist dieser Eingriff in der Regel nur nötig, wenn die medikamentöse Therapie versagt.
Im Fall einer myasthenen Krise stehen zusätzlich noch weitere Behandlungsoptionen zur Verfügung. Dazu zählen beispielsweise ein Austausch des Blutplasmas (Plasmapherese), die direkte Gabe von Immunglobulinen oder die sogenannte Immunadsorption, bei der vereinfacht gesagt, Blut entnommen und die für die Symptome verantwortlichen Autoantikörper aus dem Plasma herausgefiltert werden.
Was können Sie selbst bei einer Myasthenia gravis tun?
Viele Medikamente beeinflussen die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln und können daher potenziell die Symptome einer Myasthenia gravis verschlechtern oder maskieren. Dazu zählen unter anderem bestimmte Medikamente aus den Wirkstoffklassen der:
- Antibiotika (z. B. Aminoglykoside, Gyrase-Hemmer, Tetrazykline)
- Antirheumatika (D-Penicillamin, Chloroquin, Etanercept)
- Beruhigungsmittel (Benzodiazepine)
- Betablocker (auch wenn als Augentropfen angewendet)
- Entwässerungsmittel (Diuretika wie Schleifendiuretika)
- Antidepressiva (Substanzen vom Typ Amitriptylin)
- Antikonvulsiva (z. b. Carbamazepin, Gabapentin)
Außerdem sind Menschen mit Myasthenia gravis wesentlich empfindlicher gegenüber Stoffen zur Muskelentspannung (Muskelrelaxantien) und bestimmten anderen Medikamenten. Dazu zählen beispielsweise Sprechen Sie daher immer mit Ihrem Arzt über die Einnahme oder Verordnung neuer Medikamente, um negative Wechselwirkungen zu vermeiden.
Sollte bei Ihnen ein Kinderwunsch bestehen, ist es ebenfalls wichtig, dass Sie sich vor dem Absetzen der Kontrazeptiva mit Ihren behandelnden Ärzten absprechen, da einige der bei Myasthenia gravis eingesetzten Medikamente zu Fehlbildungen des Embryos führen können. Vor und während der Schwangerschaft sowie teilweise auch in der Stillzeit ist es daher notwendig die Medikation anzupassen. Sofern dies geschehen ist, bestehen aber keine zusätzlichen Risiken für das ungeborene Kind. Bei zehn bis 20 Prozent der Kinder von Müttern mit Myasthenia gravis treten nach der Geburt vorübergehend Symptome auf (Transiente neonatale Myasthenia gravis), die durch Antikörper der Mutter verursacht werden. Mit rascher Behandlung klingen diese aber meist innerhalb der ersten zwei Lebensmonate ab.
Generell gilt: Sollten Sie eine Verschlechterung Ihrer Symptome bemerken, suchen Sie einen Arzt auf. Bei plötzlicher und starker Verschlimmerung der Symptome mit Schluck- oder Atembeschwerden handelt es sich um eine sogenannte myasthene Krise, die unbedingt sofort behandelt werden muss. Rufen Sie daher umgehend einen Rettungswagen!
Zusätzlich sollten Sie stets einen Myasthenie-Notfallausweis mit sich führen. Darin steht, dass bei Ihnen eine Myasthenia gravis festgestellt wurde. Dadurch können sich die Ärzte schneller darüber informieren, welche Medikamente Ihnen aufgrund der Erkrankung oder bestehender Medikation nicht verabreicht werden dürfen.
Veröffentlicht am: 03.11.2023
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ICD Code(s)
ICD Codes sind Internationale statistische Klassifikationen der Krankheiten zu finden z.B. auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) oder Ärztebriefen.
- G70
- Quelle: DIMDI
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Quellen
[1] Pschyrembel Klinisches Wörterbuch online. Myasthenia gravis (Stand 10.2020). https://www.pschyrembel.de/Myasthenia%20gravis/K0ENL
[2] Pschyrembel Klinisches Wörterbuch online. Thymus (Stand 01.2019). https://www.pschyrembel.de/Thymus/K0MJT
[3] AMBOSS. Myasthenia gravis. (Stand 13.07.2022), unter: https://www.amboss.com/de/wissen/myasthenia-gravis
[4] Carr, AS et al. A systematic review of population based epidemiological studies in Myasthenia Gravis. BMC Neurol 10, 46 (2010). https://bmcneurol.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2377-10-46
[5] Sanders DB et al. International consensus guidance for management of myasthenia gravis: Executive summary. Neurology. 2016 Jul 26;87(4):419-25. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4977114/
[6] Orphanet. Transiente neonatale Myasthenia gravis (Stand: Oktober 2014), unter: https://www.orpha.net/de/disease/detail/391504
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